Silberner Lufti 2020: Junge ohne Namen
Silberner Lufti
„Junge ohne Namen“ von Steve Tasane
„Auch ich habe mein Lebensbuch verloren. Die meisten unbegleiteten Minderjährigen im Lager haben ihr Lebensbuch verloren. Es wurde gestohlen, beschlagnahmt oder von Bomben zerfetzt, ist verbrannt oder im Meer versunken. Deshalb muss ich meine Geschichte erzählen. Und auch die von L und E und V. Wenn niemand unsere Geschichten hört, werden wir diesem Ort nie entkommen. Dann werden wir nie ein neues Zuhause finden. Dann werden wir nie neue Geschichten haben und unser Leben weiterleben.“
In „Junge ohne Namen“ erzählt der britische Schriftsteller Steve Tasane die Geschichte eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings, der seine Papiere und damit seine Identität verloren hat. Ihm wurde der Buchstabe „I“ zugeteilt. „I“ geht davon aus, zehn Jahre alt zu sein. Er lebt in einem Flüchtlingscamp und hat nur seine Freunde „L“ „E“ und „V“, seine Leidensgenossen.
Der Autor beschreibt den Alltag des Protagonisten im Camp und mit welchen Schwierigkeiten das Leben behaftet ist. Die Romanfiguren leiden oft Hunger. Es gibt kein Spielzeug. „I“ sucht Ersatz in gefundenen Sachen. Für „I“ und die anderen Kinder geben nur Erinnerungen und teils Fotoalben Rückschlüsse auf ihr „früheres Leben“.
Aus der Ich-Perspektive berichtet „I“ von den Menschen im Camp, den unfreundlichen Wachmännern oder auch von „Charity“, die Essen spendet und sich um Kinder und Frauen kümmert. Als das Camp von Bulldozern niedergewalzt wird, sollen die Bewohner in Metallcontainern untergebracht werden.
Mit dem Erzählen im Präsens wird der Leser direkt in das Geschehen hineinversetzt und kann die Handlung in Echtzeit mitverfolgen. Die besondere Aufmachung des Covers spiegelt die Geschichte sehr gut wider. Die erste Seite befindet sich schon auf dem vordereren Umschlag und die Angaben zum Autor und das Impressum wurden auf den Rückeinband gedruckt, womit der begrenzte Zugang zu und der sparsame Umgang mit Ressourcen im Flüchtlingscamp sichtbar werden.
Der Roman gibt einen realen aber dennoch einfühlsamen Einblick in das Leben der geflüchteten Kinder in solchen Lagern. Obwohl gezeigt wird, mit welchen widrigen Bedingungen sie zu kämpfen haben, handelt das Buch auch von der Hoffnung auf Freiheit.
Durch die anonyme Darstellung der Figuren und des Ortes wird anschaulich, dass die Probleme der Flüchtlinge in vielen Regionen vorhanden sind. Am Ende erfährt man, dass der Autor Steve Tasane der Sohn eines Flüchtlings ist. Er merkt jedoch an, dass „Junge ohne Namen“ nicht seine Geschichte, sondern die junger Flüchtlingskinder erzählt, die weltweit mit dem gleichen Schicksal zu ringen haben.
„Junge ohne Namen“ ist ein berührendes und beeindruckendes Buch, das die seit längerer Zeit aktuellen Flüchtlingskrisen thematisiert und den Leser dafür sensibilisiert. Deshalb vergeben wir den Silbernen Lufti!
Eckdaten:
- Die Jugendbuchjury trifft sich immer mittwochs von 16-17.30 Uhr im Wiekhaus 21, 17033 Neubrandenburg.